[Beitrag veröffentlicht im Gemeindebrief Winter 24/25]
In dieser Zeit des Jahres, wo die Tage immer kürzer werden und die Nächte länger, haben manche Leute ihre liebe Not, zumal diejenigen unter ihnen, die zu Depressionen neigen. „Schwermut“ nannte man das früher. Eigentlich ist das ein recht treffendes Wort für einen Gefühlszustand, der davon Betroffenen nicht nur die Gedankenwelt verdunkelt, sondern auch körperliche Auswirkungen haben kann, so dass sie sich saft- und kraftlos fühlen.
„Wir leben in dunklen Zeiten“. So oder ähnlich lautet die Analyse landauf landab angesichts wirtschaftlicher Schwierigkeiten, der bedrohten demokratischen Ordnung durch extreme Kräfte, den sichtbaren Folgen des Klimawandels und im Blick auf die weiter wütenden Kriege in der Ukraine und in Nahost.
Auch die Christenheit ist von diesem Dunkel nicht ausgenommen. Rudolf Bohren, einer meiner Heidelberger Professoren, schrieb einmal:
„Wird’s finster auf Erden, fällt die Nacht auch über die Christenheit.“ Und er fährt fort: „Auch heute nimmt Jesu Gemeinde teil am Dunkel, das die Völker bedeckt, wird eingehüllt in die Finsternis, die auf der Erde herrscht. Sie leuchtet nicht in der Welt, wirkt nicht attraktiv, ihre Tätigkeit leidet an Erfolglosigkeit.“
Wer die Augen auch als Christ nicht verschließt vor der Welt, wie sie ist, kann sich wohl auch gut hineinversetzen in die perspektivlos erscheinende Situation, in der sich Israel ca. fünfhundert Jahre vor Christi Geburt befand. Da war die Erfahrung der babylonischen Gefangenschaft, die Rückkehr ins zerstörte, zerrüttete Land, die lähmende Perspektivlosigkeit, die auf dem Volk wie Blei lastete. Doch der Prophet spricht gerade hier dem Volk mutmachende Worte zu:
Mache dich auf, werde licht; denn dein Licht kommt, und die Herrlichkeit des HERRN geht auf über dir!
Ihr seid bereits jetzt, auch in all dem Dunkel, das die Erde bedeckt, hineingenommen in diese neue Wirklichkeit! Werdet offen für Gottes Geist, er öffnet Euch die Augen für sein Licht, reißt Euch heraus aus der resignativen Grundhaltung hin zu einer Hoffnung, die Euch anspornt, Gottes Wirken zu vertrauen. Zumal mit Jesu Geburt dieses Licht in der Finsternis auch uns gilt: Das Licht scheint in der Finsternis (Joh 1,5).
Hier kommt mir der Schriftsteller und Liederdichter Jochen Klepper in den Sinn. Er hat im Jahr 1938, in dunkelster Zeit Nazi-Deutschlands, ein Adventlied gedichtet:
Die Nacht ist vorgedrungen, der Tag ist nicht mehr fern! So sei nun Lob gesungen dem hellen Morgenstern!
Auch wer zur Nacht geweinet, der stimme froh mit ein. Der Morgenstern bescheinet auch deine Angst und Pein. (EG 16)
Von Klepper ist die Aussage überliefert: „Leicht lässt Gott uns nicht singen“. Damit ist nicht gemeint, dass die Melodie dieses Liedes besonders kompliziert wäre, sondern er bezieht das auf die böse Zeit, die ihm große Sorgen machte und auch persönlich mehr und mehr zusetzte. Mit einer getauften Jüdin verheiratet, sah er die Zeichen der Zeit besonders deutlich, und doch – oder gerade weil er Gottes Zusage zu vertrauen suchte – konnte er ein solches tiefgründiges Lied dichten.
Ich schließe mit der dritten Strophe:
Die Nacht ist schon im Schwinden, macht euch zum Stalle auf!
Ihr sollt das Heil dort finden, das aller Zeiten Lauf von Anfang an verkündet, seit eure Schuld geschah.
Nun hat sich euch verbündet, den Gott selbst ausersah.
In diesem Sinn wünsche ich Ihnen und Euch eine helle, lichte Zeit im Advent.
Mit herzlichem Gruß
Ihr und Euer Martin Will, Pfarrer