Osterzeuginnen

angedacht – Entsetzt euch nicht!

Markus 16, Vers 6

[aus: Gemeindebrief 01-2025]

„Es ist nicht zumutbar, unmenschlich war das!“

Mit diesen Worten beschrieb ein Angehöriger sein Empfinden, nachdem er seiner Mutter in den letzten Stunden ihres Lebens beigestanden und sie bis zu ihrem Tod begleitet hatte. Ich stimmte ihm zu.

Ich kann es nachvollziehen, wie einen das Sterben eines geliebten Menschen ratlos, ja auch wütend macht. Denn aus meiner Sicht gibt aus kaum eine Situation, in der man sich so hilflos fühlen kann wie in der Begleitung eines Sterbenden. Medizinisch und pflegerisch mag alles getan worden sein, was möglich ist, aber die letzte Lebensetappe steht noch aus. Da kann einen schon das blanke Entsetzen ergreifen, wenn der Atem schwer geht und ins Stocken gerät. Und einem zugleich bewusst wird: Ich kann nicht für den anderen atmen. Nur da sein. Aber immerhin! Da sein und mit aushalten, vielleicht beten. Worte sprechen, die womöglich noch ans Ohr des Sterbenden dringen. Wer weiß!

Entsetzt euch nicht! Das sind wegweisende Worte, die Maria Magdalena und Maria zugesprochen werden, als sie am Ostertag ihrem getöteten Herrn am Grab die letzte Ehre erweisen wollen. Aber der Schreck fährt ihnen in die Glieder, als der große Stein davor weggerollt ist. Selbst dieser letzte Abschied von dem Gekreuzigten scheint ihnen verwehrt zu sein. In der Grabkammer sitzt ein „Jüngling zur rechten Hand […], der hatte ein langes weißes Gewand an, und sie entsetzten sich.“

Entsetzt euch nicht! Das muss einem schon von außen zugesprochen werden, wenn man den Halt unter dem Boden zu verlieren droht. Am österlichen Grab spricht ein Bote Gottes entscheidende Worte zu den Frauen. Er ignoriert nicht ihre Furcht und ihr Entsetzen, wischt all das nicht mit einer Handbewegung weg, sondern nimmt auch ihre Gefühle auf.

Anders, als den ersten Zeuginnen der Auferstehung Jesu von den Toten am Grab, ist uns zumindest bekannt, wie die Geschichte Jesu weitergeht. Klar, das ist eine Sache des Glaubens und Vertrauens. Er ist auferstanden, er ist nicht hier.

Aber ist es nicht so, auch wenn wir mit Ernst als Christen leben wollen, wird uns manches Entsetzen an einem Sterbebett, auch manche Furcht mitten im Leben nicht erspart bleiben. Was gibt uns dann Kraft und Mut? Und wie kann ich mich auch der eigenen, irdischen Endlichkeit stellen, ohne den Tod zu verharmlosen? Gerade dann leben und glauben zu lernen im Bewusstsein, dass er, Jesus, auferstanden ist und so der Tod letztlich keine Chance mehr hat und bereits auf dem Rückzug ist.

Ich will darauf vertrauen, dass Jesus von Nazareth gerade auch in schwerer Zeit Kraft schenkt und Zukunft, selbst über den Tod hinaus.

Wo können wir, wo können Sie und könnt Ihr andere konkret trösten, wo sie von Angst, Furcht und Entsetzen geplagt sind? Muss man sich das dann nicht zuerst gesagt sein lassen? Und muss einem die Botschaft „er ist auferstanden“ unbedingt direkt einleuchten?

Bibelwissenschaftler gehen davon aus, dass das Markusevangelium ursprünglich mit folgenden Worten endete:

Und sie gingen hinaus und flohen von dem Grab; denn Zittern und Entsetzen hatte sie ergriffen. Und sie sagten niemand etwas; denn sie fürchteten sich.

(Markus 16,8) 

Ich denke, wenn wir die abschließenden Worte unserer Ostererzählung aufmerksam betrachten, ist auch uns zum Glauben und Verstehen Zeit geschenkt. Die ersten Auferstehungszeuginnen brauchten Zeit. Sie mussten keinen „Schalter“ umlegen, um zur gewohnten Tagesordnung überzugehen. Das Neue, Hoffnungsvolle, die Botschaft von der Überwindung des Todes durch Christus, war offensichtlich nichts, was sie erwartet hätten. Die Auferstehung kam unverhofft. Die Furcht war noch vorhanden, aber sie sollte nicht das letzte Wort behalten.

Mit herzlichem Gruß

Ihr Martin Will, Pfarrer

Osterzeuginnen
Osterzeuginnen der Auferstehung
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Gemeindebrief 1-2025 (Webversion)

Der neueste Gemeindebrief wird demnächst wieder an den bekannten Stellen zum Mitnehmen oder Verteilen ausliegen. Die Online-Version ist die gekürzte Fassung der gedruckten Ausgabe, da besondere persönliche Daten hier nicht veröffentlicht werden.

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angedacht: „Auferstehen!“

Die neueste Ausgabe unseres Gemeindebriefs kommt frisch aus der Druckerei. Der Gemeindebrief wird wieder zum Mitnehmen und zum Mitbringen für andere (!) ausgelegt in Geschäften, der Kurverwaltung, in Kirche, Kapelle und Gemeindehaus etc.

Hier veröffentlichen wir daraus die Andacht zum Nachlesen, in loser Folge werden weitere Beiträge folgen.

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Kirchhof in Balbronn, Elsass

angedacht „Auferstehen!“

Im September war ich zusammen mit meiner Frau unterwegs im Elsass. Mit den Rädern erkundeten wir die schöne herbstliche Landschaft mit Weinbergen, Wiesen und Tälern und wir suchten malerische Orte auf. Darunter war auch die eine oder andere Kirche. Ebenfalls besichtigten wir alte Friedhöfe, einschließlich einem großen, imposanten jüdischen Zentralfriedhof.

Ein Friedhof hatte es mir besonders angetan. Es war ein echter Kirchhof, das heißt, die Grabsteine lagen unmittelbar an der Kirche, wie das früher üblich war. Die besondere Wehrkirche, – übrigens unbeaufsichtigt zu besuchen wie unsere – und der wiederhergestellte Kirchhof waren ringsum umgeben von einer hohen Mauer. Beim Lesen der Inschriften weckte ein Gedenkstein mein besonderes Interesse. Dort war im Stein eingraviert:

Hier ist unsre Losung:
„Untergehen!“
Dort ruft Gottes Engel:
„Auferstehen!“

GrabInschrift kirchhof balbronn, elsass

Ich weiß nicht mehr genau, ob ich nach dem Lesen laut gelacht habe, oder ob ich es mir im Nachhinein nur einbilde. Jedenfalls gibt „Lachen“ mein unmittelbares Empfinden gut wieder, nicht im Sinn von „lächerlich, was da steht“, vielmehr fühlte ich mich angesprochen von der krassen, kurzen, fast schon derben Direktheit des Spruchs. Wie im Kommandoton erklingt hier das unvermeidliche „Untergehen!“. Am Tod führt eben kein Weg vorbei. Doch kaum ist der Tod eingetreten, folgt schon das nächste Kommando: „Auferstehen!“

Da gibt’s offensichtlich kein Grübeln und Herumrätseln, ob es wirklich stimmt, dass die Toten auferstehen werden. Diesem Ruf wird sich letztlich keiner entziehen.

Mir kam der Ausdruck „schwupp-di-wupp“ in den Sinn:

„Wenn Gottes Engel Dich dort ruft, wenn die letzte Posaune erklingt, wirst Du Dich schon in Gottes neuer Welt wiederfinden, kaum, dass Du gestorben bist“!

Grabstein: "Untergehen - Auferstehen"
Grabstein: „Untergehen – Auferstehen“

Nun nahm ich diesen Spruch in einem warmen „Altmännersommer“, wie ich diesen schönen Herbst nannte, an einem heimeligen, lichtdurchfluteten Ort wahr. Wird mich diese glaubensvolle Gewissheit auch tragen in dunklen Zeiten, die mir eher das „Untergehen“ vor Augen halten?

Nun könnte und wollte ich mir „Untergehen“ nicht als Losung, als Lebens- oder Sterbensmotto zu eigen machen, wenn damit eine weltverneinende, weltabgewandte Haltung gemeint wäre. Das nicht! Aber ich werde mich, so meine Hoffnung, lebensbedrohlicher Wirklichkeit anders stellen können, wenn ich offen bleibe für den Ruf des Engels: „Auferstehen!“

In diesem Sinn wünsche ich Ihnen in der nun dunkleren Jahreszeit mit Gedenken unserer Verstorbenen und der Adventszeit mit ihren Lichtern gesegnete Tage.

Ihr Martin Will, Pfr.

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Balbronn, Elsass: Ansicht der Ev. Wehrkirche an einem schönen Herbsttag